Zahlungssystem ist nicht gleich Zahlungssystem

Zum Unterschied zwischen einem Payment Scheme und einem Pass-through Wallet

In der aktuellen Ausgabe von Recht und Politik des Wettbewerbs (RPW 2016/4, S. 1062 ff.) hat die Wettbewerbskommission (WEKO) ihre begründete Stellungnahme zur Übernahme der Twint AG durch die Postfinance AG und die SIX Payment Services AG publiziert. Gegenstand des Zusammenschlusses ist die Bildung eines neuen Zahlungssystems – oft als Twint 2.0 bezeichnet – welches als klassisches, offenes Vierparteiensystem konzipiert ist.

Twint AG wird somit zu einem Scheme, welches das Zahlungssystem betreibt und Issuer und Acquirer zur Teilnahme am Zahlungssystem lizenziert. Vgl. nachfolgende Grafik; eine detaillierte Beschreibung des klassischen Vierparteiensystems findet sich in: CORNELIA STENGEL/THOMAS WEBER, Digitale und mobile Zahlungssysteme, Schulthess 2016, Rz. 157 ff.:

Bei den bisher existierenden Zahlungssystemen der zusammenschliessenden Parteien handelte es sich demgegenüber um ein Staged Wallet (Paymit) und ein Top-Up Wallet (altes Twint); diese werden wohl weitestgehend eingestellt. Vgl. nachfolgende Grafiken; eine detaillierte Beschreibung der Systeme findet sich im oben erwähnten Buch, Rz. 174 ff. bzw. Rz. 190 ff.:

Wie einleitend beschrieben, soll Twint 2.0 ein Zahlungssystem im Vierparteiensystem werden. Überraschenderweise wurden jedoch nicht die offensichtlichsten Konkurrenten im Markt für Vierparteiensysteme, nämlich MasterCard und VISA, zur Stellungnahme zum Zusammenschlussvorhaben eingeladen. Die WEKO lud vielmehr den Verband elektronischer Zahlungsverkehr (VEZ, vertritt den Handel), Apple, Samsung, Google und SwissWallet zur Stellungnahme ein, wobei sie die letzteren vier als gegenwärtige oder potenzielle Konkurrenten bezeichnet, obwohl diese allesamt Anbieter von Pass-through Wallets sind. Vgl. nachfolgende Grafik; eine detaillierte Beschreibung von Pass-through Wallets findet sich im oben erwähnten Buch, Rz. 204 ff.:

Ein Pass-through Wallet zeichnet sich dadurch aus, dass es ein reiner Container für Zahlungsinstrumente (wie z.B. Kreditkarten) ist. Am besten vergleichbar ist ein Pass-through Wallet mit einem physischen Portemonnaie, in welches man heute seine Kredit- und Debitkarten steckt. Beim Zahlvorgang holt der Zahler eine Karte aus dem Portemonnaie und hält sie ans Terminal des Händlers (Merchants). Die Zahlung erfolgt also mit der Karte und nicht mit dem Portemonnaie selbst. Genau gleich verhält es sich bei einem Pass-through Wallet. Auf elektronischem Weg können darin Zahlungsinstrumente (z.B. Kreditkarten) hinterlegt werden. Das setzt voraus, dass der Issuer der Karte (in der Schweiz z.B. Cembra, CornèrCard, Swisscard, UBS, Viseca Card Services etc.) sich technisch und vertraglich an das Pass-through Wallet anbindet. Pass-through Wallets wie Apple Pay, Samsung Pay und Android Pay sind somit vergleichbar mit einem physischen Portemonnaie. Die Zahlung erfolgt immer mit einer der im Pass-through Wallet hinterlegten Karten eines Issuers.

Twint 2.0 hingegen, welches wie oben beschrieben ein Scheme in einem Vierparteiensystem wird, betreibt ein Zahlungssystem und lizenziert Issuer und Acquirer zur Teilnahme am Zahlungssystem. Twint 2.0 ist deshalb nicht mit einem Pass-through Wallet vergleichbar. Es konzentriert sich auf seine Rolle als Lizenzgeber und den technischen Betrieb des Zahlungsnetzwerks, sprich die technische Verbindung von Issuern und Acquirern zur Abwicklung von Autorisationen, Clearings und Settlement. Die Entwicklung und Verbreitung von Zahlungsinstrumenten für das Twint 2.0 Zahlungssystem, z.B. Twint 2.0-Wallets, wird innerhalb des Twint 2.0 Zahlungssystems durch die einzelnen Issuer übernommen. Entsprechend wird es mehrere und verschiedene Twint 2.0-Wallets geben (pro Issuer eines). Möglicherweise kann das Twint 2.0-Zahlungssystem in Zukunft zudem für physische Kartenzahlungen genutzt werden. Darüber hinaus ist auch denkbar, dass ein Issuer sein Twint 2.0-Zahlungsinstrument in ein unabhängiges Pass-through Wallet, wie z.B. Apple Pay, einbindet.

Der WEKO sind die Unterschiede zwischen den verschiedenen Modellen von Zahlungssystemen durchaus bewusst, was die Sachverhaltserstellung unter A.5.3 „Wallet-Lösungen versus Payment Schemes“ zeigt. Allerdings verzichtet die WEKO „angesichts der frühen Marktphase sowie der insgesamt noch geringen Verbreitung von P2M-Mobile Payment“ auf eine differenzierte Betrachtung zwischen Wallet-Lösungen und Payment-Scheme (RPW 2016/4 Rz. 56). Dies führt dazu, dass beispielweise in den Erwägungen zum aktuellen Wettbewerb unter B.4.3.2 die Anzahl Verkaufsstellen, an welchen Apple Pay bzw. Twint akzeptiert wird, verglichen wird, obwohl Apple Pay kein Zahlungsinstrument, sondern ein Pass-through Wallet, und Twint ein Payment Scheme ist.

Der Entscheid der WEKO ist aber wohl zumindest im Resultat korrekt: Auch ein Vergleich des neuen Schemes Twint 2.0 mit seinen direkten Konkurrenten, MasterCard und VISA, hätte sicherlich keine Anzeichen dafür ergeben, dass der Zusammenschluss innerhalb der nächsten 2-3 Jahre eine marktbeherrschende Stellung begründen oder verstärken könnte, durch die wirksamer Wettbewerb beseitigt werden kann.

Dass der Zusammenschluss dennoch Folgen für die Marktteilnehmer, insbesondere auch die Konsumenten, hat, ist bereits heute offensichtlich: Wie oben erläutert, setzt die Nutzung von Pass-through Wallets, wie z.B. Apple Pay, voraus, dass der Issuer das Wallet anschliesst und so seinen Zahlkarteninhabern nutzbar macht. Gerade das Beispiel Apple Pay zeigt, dass die Mehr- und Minderheitsaktionäre der Twint AG die Nutzung der von ihnen herausgegebenen Kredit- und Debitkarten mit Apple Pay nicht ermöglichen. Dies im Gegensatz zu anderen Issuern, wie CornèrCard, Swisscard/AmericanExpress und Swissbankers. Die anstehende Lancierung von Samsung Pay wird diesbezüglich vielleicht mehr Klarheit bringen.

STE/20.2.2017